Die Lebensverhältnisse auf dem vorderen Hunsrück

Boppard 1906, von Schulrat Klein

Wiedergegeben in verkürzter Form von Edith M. Barden

Als Schulrat Klein im Jahre 1874 das erste mal auf den Hunsrück kam, hat er gesagt: „Der Hunsrücken ist besser als sein Ruf.“ Er kam vom Niederrhein und verglich die Wohnverhältnisse dort zu hier bei uns. Er schrieb: „Der Hunsrücken liefert zum Häuserbauen reichlich Holz und Steine. Darum bauen die Leute auf dem Hunsrücken erheblich billiger als am Niederrhein und bauen daher bessere und anschaulichere Häuser. Und durch die Schieferdächer gewinnen die Häuser und Ortschaften des Hunsrückens ein freundliches und schöneres Aussehen als durch die am Niederrhein üblichen Ziegeldächer.“ Die innere Einrichtung der Bauernhäuser ließ doch zu wünschen übrig. Oftmals gab es keine Flure, sondern man trat vom Freien direkt in die Küche. Die Haustür bestand aus zwei Teilen die nicht längs sondern quer getrennt waren, dies kennt man heute nur noch von Stalltüren. Im unteren Teil der Tür  befand sich oftmals eine Öffnung, die den Hühnern Eintritt gewährte, so dass diese zu jeder Zeit in ihre Nester unter der Treppe gelangen konnten. Der Fußboden war meist ein festgestampfter Lehmboden. An der inneren sogenannten Brandmauer befand sich ein Großer Feuerkessel. Da herum fand das Familienleben statt. Es war der einzige geheizte Raum im Haus. Der Rauchfang unterhalb des Schornsteines ragte tief bis in die Küche hinein.

Anfang des 20. Jahrhunderts wahren die Fußböden oftmals mit Steinplatten belegt oder mit Brettern gedielt. Die feuergefährlichen Rauchfängen waren gewichen und die Kamine mit Ziegelsteinen enger gebaut. Über den Küchenherden befanden sich Stangen, auf denen im Winter die Wäsche getrocknet wurde. An den Decken hingen Lampen, die anfangs mit selbstgewonnenem Leinöl befeuert wurden, später dann mit Petroleum. Das Licht war trüb. Als Sitzgelegenheit gab es in jedem Haus mindestens eine Bank mit einem Kasten darunter. Der diente als Kiste für Utensilien und die Bank war oft auch ein Schlafplatz für die Kleinen. Die Fußböden wurden im 19.Jahrhundert nicht geölt, sondern nur vor Festtagen gescheuert. Mittlerweile ölte man die Fußböden und wischte sie auch feucht durch. Auch Fenstervorhänge gab es mittlerweile in fast allen Häusern. Blumen zierten die Fensterbänke. Die Wände wurden mit Schablonen geblümelt, wo Anfangs die blaue Farbe dominierte.

Die  Menschen im Hunsrück ernährten sich im 19. Jahrhundert fast ausschließlich von selbstgebackenem Brot, Kartoffeln und Mehlspeisen. Kartoffeln kamen häufig dreimal täglich auf den Tisch; von ihnen hieß es: „Morgens gequellt, Mittags geschält und Abends mit der Montur (Schale).“ Fleisch gab es nur an den höchsten Feiertagen. Die Suppe wurde oftmals aus einer gemeinsamen großen Schüssel gelöffelt, ebenso wurden die Kartoffeln aus einer großen Schüssel mit der Gabel genommen. Anfang des 20. Jahrhundert kamen dann Porzellanteller in die Küchen. „In den Gärten des Hunsrückens züchtet man jetzt mehr und mehr Gemüse.“ Die Zugverbindungen in die Stadt nutzten viele Mädchen für ein paar Jahre, um dort Dienst bei gut situierten zu nehmen. Die erlernten Kochkünste wurden dann mit nach Hause genommen. Auch wurde es mittlerweile möglich im Herbst ein Schwein zu schlachten, so dass es in wenigen Familien auch in der Woche durch etwas Fleisch zu essen gab. Rindfleisch gab es meist nur an Kirmes. Wobei das Hauptkirmesgericht aus Schweinefleisch, Sauerkraut und Erbsen bestand. Am Palmsonntag gab es Stockfisch, weshalb dieser Tag auch der Stockfischsonntag genannt wurde.

Der Fortschritt in der Kleidung ist nicht zu übersehen. Im 19.Jahrhundert trugen die Männer fast ausschließlich blaugefärbtes, selbstgesponnenes Leinen. Auf Reisen, auf Märkten und in der Kirche erschienen sie mit blauen Kitteln. Der Mann besaß nur eine Festtagshose wie nur einen Rock, der von der Hochzeit bis zum Tode getragen wurde. Alte Männer trugen Schnallenschuhe, kurze Hosen mit Strümpfen oder Gamaschen und an Feiertagen einen Rock. Im 20. Jahrhundert kamen Wollstoffe.   An Festtagen trägt man Gehrock mit modernem Schnitt. Statt Mützen trägt man Filzhüte. Die Frauen trugen früher an Werktagen gedruckte, kurze, faltenreiche Röcke aus selbstgefärbtem Leinen. Sonntags schwarze Strümpfe und Schleifen versehene Schuhe. Im 20. Jahrhundert kaufte man meist wollene Stoffe und wähle städtische Schnitte. Die weiße Haube ist einer modischen schwarzen Haube oder einem einfachen Hute gewichen.

Schulrat Klein berichtet auch von seinen ersten Dienstreisen, die er in seiner Amtstätigkeit auf dem Hunsrück machen musste. Er befürchtete nicht saubere Betten vorzufinden. „Aber es freut mich hier aussprechen zu können, dass ich viele Befürchtung bald fallen gelassen habe. Irgend ein Ungeziefer hat sich in den Betten der Wirtshäuser, in welchen ich in neun verschiedenen Orten des Hunsrückens übernachtet habe, niemals bemerkbar gemacht. Die Betten waren überall musterhaft reinlich.“ Auch über die Ackerwirtschaft informierte sich Schulrat Klein. Im 19. Jahrhundert blieb viel Land brach liegen. In der Regel fand eine dreijährige Wiederholung der Brache statt. Gedüngt wurde wenig, nur der Mist von ein paar Ochsen und Kühen kam aufs Feld. Die Jauche floss über die Straße in den Dorfbach. Im 20. Jahrhundert wurde kein Feld mehr gebracht, zu dem Stalldünger kam sehr bald der Kunstdünger. Die Jauche wurde gesammelt und auf die Felder und Wiesen gebracht. Durch eine polizeiliche Vorschrift war die Mist – und Jauchestätte durch eine Mauer einzufassen. Bald fand man auf dem Hunsrück auch Mähmaschinen, Dreschmaschinen und Fruchtreinigungsmaschinen. Der Fortschritt war nicht aufzuhalten, die Äcker wurden ertragreicher. Der Ertrag hat sich mit der Zeit verdoppelt, der Preis der Äcker aber auch. Bei der Viehzucht war auch hier zu sagen, dass die Preise erheblich in die Höhe gegangen sind. Die Ställe konnten verbessert und ausgebaut werden. Die Schafszucht war in ganz Deutschland merklich zurückgegangen, weil die Weiden nun zu Ackerland wurden und auf den Wiesen wurde Heu fürs Vieh geerntet, das war weitaus lukrativer. Auch die Hühnerzucht war zurückgegangen. Die freilaufenden Hühner richteten zu viel Schaden in den angelegten Gemüsegärten. Würden sie in eingefriedeten Räumen gehalten, würde das Futter so viel kosten wie die Eier wert sind. Die Bienenzucht hatte sich verfünffacht, die Dorflehrer verhalfen den Leuten zu einer besseren Zuchtmöglichkeit. Die Tauschgeschäfte mit Honig und auch der Verkauf wurden angeregt. Die Wollspinnerei ging durch die verminderte Schafszucht zurück.

Insgesamt konnte der Hunsrück den Menschen nicht genügend Arbeit und Verdienst bieten. Die Bewohner mussten zum Teil auswärts Arbeit suchen. „Männer, Frauen, Jünglinge und Jungfrauen gingen an den Rhein, auf das Maifeld und auf den Taunus in die Ernte. Das Zusammenwohnen und die Einrichtung der Schlafstellen für diese Leute, hatte große sittliche Gefahren.“ Männer und Jünglinge gingen im Winter in die Industriestätte oder Bergwerke des Niederrheins. Der Bevölkerung ging es zunehmend besser. Dies machte sich bemerkbar an dem äußeren Aussehen der Dörfer. Strohdächer wichen Schieferdächern, die Hauswände waren meist weiß getüncht, die Pfosten und Balken geschwärzt, die Wetterseite mit Schiefer beschlagen, die Fenster mit Ölfarbe gestrichen. Die Menschen aßen besser, sie kleideten sich besser und wohnten besser als dreißig Jahre zu vor und hatten trotzdem mehr Geld. Sogar die einfachen Holzkreuze auf den Friedhöfen wurden durch Steindenkmäler abgelöst. Es wurden Schulhäuser ausgebaut und auch viele neue gebaut. Das Lehrpersonal wurde aufgestockt und konnte auch besser bezahlt werden. Kinder erhielten bessere Lernmittel und der Sinn nach Ordnung und Reinlichkeit war nicht mehr zu übersehen. Wo Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts noch sogenannte „Hauszeichen“ wichtig waren um Schriftstücke und Dokumente zu unterzeichnen, oder man unterzeichnete einfach mit drei Kreuzen, so beobachtete Schulrat Klein, dass dies im Anfang des 20. Jahrhunderts immer seltener zu gelte kam und auch die Hauszeichen über den Eingangstüren der Häuser kaum noch zu finden waren.